König Nubi, der Vierte
„Nubi, kannst Du schnell den Müll rausbringen?“, bittet Nubis Vater, der gerade kocht. „Mmmmh“, brummt Nubi, „och menno, ich hab aber keine Lust“, mault er. „Ach komm“, sagt Papa, „ich mach hier extra Lasagne zum Abendbrot, weil du dir das gewünscht hast, da kannst du ruhig den Müll runterbringen. Da brichst du dir keinen Zacken aus der Krone“. Nubi legt die Nase kraus, „ich breche mir keinen Zacken aus der Krone? Was soll das denn heißen? Aber wenn ich ein König bin, dann bringe ich natürlich auf gar keinen Fall den Müll runter. Sowas machen Könige nämlich nicht“, triumphiert Nubi. „Du Schlaumeier“, lacht Papa, „das bedeutet, dass es wirklich nicht so wild ist, den Müll rauszubringen, und dass es keinen Grund gibt, dass du darum jetzt so ein Theater machst, und dass du, wenn du nicht so viel diskutiert hättest, schon längst den Müll weggebracht hättest. Also los. Wenn du von der Lasagne etwas abhaben möchtest, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, mit dem Müll loszuziehen. Ich hab großen Hunger, ich schaff die auch mit Mama allein“. Nubi sagt nichts. Er atmet tief durch, dann schnappt er sich den vollen Müllbeutel und zieht ab.
Nach dem Essen der wirklich leckeren Lasagne verkündet Nubi: „Ich will noch was malen. Kann ich?“. Mama guckt auf die Uhr. „Na gut, aber nicht mehr ewig, wenn du willst, dass ich dir heute noch eine Geschichte erzähle“. Nubi nickt. Er holt seine Malsachen und breitet sich aus. Nubi malt konzentriert. Er malt Schafe und Hirten, einen Ochsen und einen Esel in einem Stall, Maria und Josef, dazu das Jesuskind in der Krippe und die drei Könige – und noch einen kleinen König daneben. Das ist Nubi selbst, der ist auch dabei. Papa guckt ihm anerkennend über die Schulter. „Das ist mein Weihnachtsgeschenk für Oma“, sagt Nubi. „Sehr schön“, lobt Papa. Wer ist denn der vierte König“ „Na ich“, sagt Nubi. Ich bin Nubi, der Vierte. Papa lacht und fragt „Und was ist das hier, meine Majestät? Sieht aus wie Weintrauben auf einem Feuer“. „Sind das ja auch“, sagt Nubi. „Und was machen die da?“, fragt Papa. Nubi guckt ihn verständnislos an. „Sag mal, kennst du die Geschichte gar nicht?“, fragt Nubi empört. „Das ist doch Weinrauch – das haben die Könige dem Christkind geschenkt. Deswegen heißt es doch auch Weinnachten, weil in dieser Nacht alle vor Glück weinen, dass der Jesus geboren ist, so, wie Oma immer weint, wenn wir „Der kleine Lord“ im Fernsehen angucken“. Papa prustet los. „Das hast du schön erklärt, lieber Nubi, aber es heißt Weihrauch und Weihnachten – mit H in der Mitte. Dafür braucht man keine Weintrauben und auch keine weinende Oma. Das bedeutet, dass diese Nacht ganz anders ist als alle anderen Nächte. Irgendwie heilig. Und damit geweiht – so sagt man das“. „Ach so“, sagt Nubi, „und dann haben die Könige dem Christkind etwa auch keine Möhre geschenkt? Damit er alles gut sehen kann, was im Himmel und auf der Erde so los ist?“, fragt Nubi. Papa schmunzelt und gluckst in sich rein. „Nein, Nubi, sie haben ihm Myrrhe gebracht. Das ist ein ziemlich bitteres Kraut. Man kann es aber auch als Medizin verwenden. Manchmal ist das Leben ganz schön bitter. Aber manchmal geht man nach einer bitteren Erfahrung auch wieder gestärkt, verändert, ja vielleicht gesünder wieder heraus“. „Ach so“, sagt Nubi, „dann ist das so ähnlich wie der eklige Hustensaft, den ich mal nehmen musste. Naja, in dem Stall ist das ja auch kalt. Da ist es ja gut, dass die Könige was gegen Husten und Schnupfen mitgebracht haben.“ „Und das“, fragt Papa jetzt, „was ist das da, in der Krippe, neben dem Kind. Diese kleinen gelben Dreiecke?“ Nubi rollt seine Augen. „Du erkennst aber auch gar nichts! Das ist das Gold. Da haben sich die Könige alle einen Zacken aus der Krone gebrochen. Hast du doch vorhin selbst gesagt. Guck dir doch mal die Kronen an, überall fehlt ein Zacken. Bei meiner Krone übrigens auch. Für das Christkind sind nämlich alle bereit, sich einen Zacken aus der Krone zu brechen!“ „Natürlich“, stammelt Papa, „da hast du natürlich vollkommen recht. Wie konnte ich das nur vergessen. Und was macht das Christkind jetzt mit all den Zacken?“, fragt Papa, „lässt er sich eine Krone daraus machen?“ Nubi nickt anerkennend: „Deine Idee ist nicht schlecht, aber trotzdem leider falsch. Er legt die vier Zacken natürlich zu einem Stern und schickt ihn in den Himmel zu Gott. Das ist der Stern von Bethlehem, der die ganze Welt in goldenes Licht taucht. Ist das nicht wunderschön?“, fragt Nubi. „Dafür könntest du dir übrigens auch ruhig mal einen Zacken aus deiner Krone brechen“, sagt Nubi mit ernster, dunkler Stimme. Papa nickt einverstanden. Und Mama sagt: „Ich glaube, dein Stern von Bethlehem ist schon aufgegangen und strahlt jetzt golden in deine Träume, Nubi. Also los, auf ins Bett“. „Ich bin sowieso fertig mit malen“, sagt Nubi. Papa drückt ihm einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn und sagt: „Danke für dein schönes Bild und die guten Ideen, die du hattest. Oma wird sich sicher sehr freuen. Und nun gute Nacht, schlaf gut und träum was Schönes, König Nubi der Vierte“. „Seine Majestät dankt für die vorzügliche Lasagne und den unterhaltsamen Abend“, erwidert Nubi. „Na dann mal los und Zähne putzen“, sagt Mama. Nubi flitzt ab. Und hinter ihm funkeln lauter goldene Sterne. Ich hab´s genau gesehen.
Matthias Liberman