Als das Jesus Kind plötzlich weg war

„Das ist aber klein“ sagte Josef und es schien als würde das Jesus Kind in dem Moment noch kleiner werden. Maria war eingeschlafen. Josef schaute auf das Kind in der Krippe, döste vor sich hin und hoffte, dass das Kind ruhig blieb. Wie gut, dass sie wenigstens den Stall bekommen hatten.

Josef schaute auf. Draußen waren Stimmen zu hören. Wollte der Wirt jetzt noch mehr Leute in seinem Stall unterbringen? Da ging auch schon die Tür auf und ein Mann schaute durch den Türspalt. Ein Schaf blökte. Was war das denn? Josef war höchst irritiert. Im Stall war kein Schaf und da rief der Mann nach hinten: „Ja hier sind Leute, wartet mal, ich frag mal nach“ und der Mann fragte Josef, ob dass denn wohl der Stall sei, in dem der Heiland geboren ist. Maria war aufgewacht und beantwortete die Frage. „Ja, hier ist es.“

Der Mann winkte den Leuten hinter ihm und Männer, Frauen, Kinder und ein paar Schafe drängelten sich in den Stall. Sie grüßten freundlich und gingen zur Krippe. Es waren Hirten und Hirtinnen, die eben noch auf dem Felde gewesen waren mit ihren Kindern. Aber sie waren ganz anders als sonst Hirten sind. Nicht so raubeinig und grob, sondern ganz sanft und geradezu bescheiden. Maria sagte entschuldigend: „Wir haben das Kind  in die Krippe gelegt, wir wussten nicht wohin sonst.“

„Ja, so hat es uns der Engel gesagt“ antwortete ein Hirte und sie erzählten, was sie auf dem Felde gesehen und von den Engeln gehört hatten. Maria wurde von diesen Worten zutiefst angerührt, ihr wurde warm ums Herz; dass in ihrem Kind Gott zur Welt kommt, das bewegte sie tief. So ein Kind ist doch ein Wunder.

Alle waren ganz verzückt. Bis auf einen. Jojakim hieß er, einer, der gleich gesagt hatte, hier stimmt was nicht. Engel vom Himmel, das konnte es nicht geben. Schon gar nicht für sie, die Hirten, den Abschaum der Gesellschaft. Er hatte den Verdacht, dass die anderen heimlich von dem Rauschmittel genommen und ihm nichts abgegeben hatten.

Jetzt tönte er laut im Stall „Seht ihr, ich habe euch ja gleich gesagt, dass hier nichts ist.“ „Nicht so laut“ ermahnten ihn die anderen, und überhaupt was heißt hier „nichts besonderes“, das Kind ist doch besonders, klein wie es ist, und er solle mal auf die winzigen Finger und Hände schauen.

„So sieht doch jedes Baby aus“ protestierte Jojakim. „Eben“, sagten die Frauen. „Jedes Neugeborene sieht aus, wie dieses Gotteskind, jedes Neugeborene ist ein Gotteskind“ und es schien als würde das Jesuskind größer sein als zuvor.

„So ein Quatsch“ lachte Jojakim, „Gotteskind, ein ganz normales Baby ist das, armselig genug hier im Stall. Wenn Gott wollte, dass ein Gotteskind auf die Welt kommt, dann hätte er doch andere Bedingungen geschaffen als das hier, Gott in einer Krippe, dass ich nicht lache.“

Er schaute auf die Krippe und stutze…. Das Jesuskind war weg. Er sah es nicht mehr. Weg. Das Jesuskind war plötzlich weg. Er schaute noch mal, er sah auf die anderen, aber die hatten das anscheinend nicht gemerkt, sie lächelten in die Krippe, als ob das Kind da läge.

Einige Kinder drängelten sich nach vorne durch, sie wollten es auch sehen, das Jesuskind, wenn es denn da war. Ja, es war da. Die Kinder standen um die Krippe, und es war, als würde es jetzt heller an der Krippe. Die Größeren hoben die kleinen Kinder hoch, damit sie es auch sehen könnten. „Guck mal“, sagte ein großes Kind zu einem kleinen, „es liegt in einer Krippe,  so wie du als Baby in einer Krippe gelegen hast“. „Bin ich auch ein Gotteskind?“ fragte das Kleine. „Ja“, sagte Maria, aber die anderen waren sich nicht so sicher.

„Nun ist aber genug“ schimpfte Lea, die Mutter der beiden. Ihr müsst euch wieder vordrängeln und auch noch behaupten Gotteskinder zu sein. So weit kommt es noch. Ihr kommt jetzt sofort mit nach draußen.“ Sie drängelte sich durch und griff nach den Kindern, dabei schaute sie in die Krippe und … nichts…das Jesuskind war plötzlich weg. „Es ist weg“, rief sie entsetzt. „Das Jesuskind ist weg“  „Sag ich doch“ brummte Jojakim.

„Ich sehe es“ sagte ein Hirte nach dem andern und die Hirtinnen stimmten ein. „Unsere Hoffnung erfüllt sich, Gott kommt auf die Erde“ sagte einer und „Gott ist für uns da“ eine andere. „Dass sich Gott ausgerechnet einen Stall aussucht, als sei Gott einer von uns“ wundert sich einer. „Ich war ja schon ganz hoffnungslos.“ Erzählt eine Hirtin, sie strahlte über das ganze Gesicht, ein Strahl, der vom Jesuskind auszugehen schien: “Wir Hirtenvolk sind doch sonst immer die Letzten. Unsere Kinder werden weggejagt wie Hunde, alle denken wir seien Diebe und behandeln uns wie den letzten Dreck. Und jetzt das! Hier liegt das Gotteskind in einem Stall. Gott kommt zu uns. Das ist die Antwort, auf die ich gewartet habe. Gott kommt auch zu mir, zu uns.“

„Wers glaubt wird selig“ brubbelte Jojakim.

Schließlich verabschiedeten sich alle von Maria und Josef und verließen den Stall. Sie sahen ganz glückselig aus. Nur Jojakim und Lea nicht. Sie sahen kein Jesuskind und verstanden die Welt nicht mehr. Sie wollte den anderen hinterher rennen, vielleicht hatten sie das Jesuskind mitgenommen. „Nein“, sagte Maria, „das Jesuskind ist hier, in der Krippe und ja, die anderen haben das Jesuskind mitgenommen, in ihren Herzen. Ihr seht es nicht, weil ihr es nicht in eure Herzen einlassen wollt.“

Kaum war es wieder still, klopfte es an der Tür. Eine alte Frau trat ein. Sie entschuldigte sich, sie käme vom Feld von der Schafherde, sie kann nicht so schnell und die andern hätten nicht auf sie gewartet. Sie ging zur Krippe „oh, da ist es ja. Ich sehe es, dass ist der Messias, der Heiland ist geboren, wie wunderbar.“ Sie betrachtete das Jesuskind ganz innig, es war als würde sie mit dem Kind ganz verschmelzen.. Da wurde die Tür unsanft aufgerissen. Einer der Hirten von eben war wieder zurückgekehrt. „Ey Alte, was machst du denn noch hier. Wir sind längst auf dem Rückweg, wegen dir musste ich jetzt wieder den ganzen Weg zurück laufen. Nun komm, dass wir die anderen noch einholen.“ Er zerrte sie hoch und sagte noch einige unflätige Worte zu ihr. Da fiel sein Blick auf die Krippe „Bei Gott, das Kind ist weg! Alte, hast du es gestohlen, trägst du es unter deinem Gewand“, bevor er sie durchsuchen konnte antwortete sie „nein, ich trage es jetzt im Herzen, das Kind liegt in der Krippe“. Der Hirte schaute und guckte, rieb sich die Augen, er sah es nicht. „Das versteh wer will“, „ich verstehe es“, sagte die alte Frau, „komm wir gehen und ich erkläre es dir“. Ungläubig schaute der Hirte sie an und sie gingen.

Es wurde wieder still. Maria nahm sich alle diese Worte zu Herzen. „Jojakim hat recht“ flüsterte sie, „wers glaubt wird selig“. Amen

Tomke Ande