90 Jahre Heilandskirche
Tausende !
Wenn man doch einmal lesen könnte in den Seelen der Tausende, die heute in diesem neuen Gotteshaus sich eingefunden haben !
Das ist der erste Satz der Predigt, die der selige Pastor Drews am 29.Januar 1928 zur Einweihung der nagelneuen Heilandskirche gehalten hat. Tausende ? Ja, hat er tatsächlich so gesagt. Nun ist die Heilandskirche tatsächlich ein großer Dampfer – aber Tausende passen dann doch nicht hinein. Vermutlich haben Stolz und Überschwang dazu geführt, dass dem guten Pastor damals die Pferde durchgegangen sind.
Und das ist ihm ohne weiteres nachzusehen. Die Heilandskirche ist ja auch ein markanter Bau – war sie schon 1928 und ist sie bis heute geblieben. Kein unscheinbares Wald- und Wiesenkirchlein, sondern ein ambitionierter Mix aus Kirche, Kloster, Heimatstil, alles zusammen im Hamburger Rotklinkergewand.
Keine „typische“ Kirche – wer im 25er vorbeifährt, tippt schon mal auf Feuerwehr, Schule oder Schwimmbad. Und wer heiraten will, geht eher in die Matthäuskirche (oder gleich nach Eppendorf).
Wer in Ruhe ein Eis essen will, setzt sich gerne hierhin, an den Brunnen. Tagsüber ist hier immer Trubel, vor allem im Sommer, auf dem Kirchhof, neben, hinter und in der Kirche. Soll so sein – steht ja auch alles offen. 1928 gab es nicht mal einen Zaun zur Straße hin (und vielleicht fällt der auch wieder eines Tages). Das ist eine Spezialität dieser Kirche: Nicht unnahbar, kein Solitär auf dem Berg, sondern mittenmang, mit Nachbarn rechts und links und gegenüber und einer Bushaltestelle vor der Tür. Alles zum Anfassen, drinnen wie draußen. Auch der Heiland selbst, in doppelter Lebensgröße, geschaffen aus einer 600 Jahre alten Eiche. Manchmal stellen die Kinder eine Leiter an sein Kreuz, klettern hoch, schauen ihm ins Gesicht und sagen: Er lächelt ja.
Und das seit 90 Jahren.
Michael Ellendorff